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Was die Masse will

Regionalität ist bei der Bevölkerung Trumpf. Sie erwartet, dass die Versorgung mit regionalen Produkten von der Landwirtschaft sichergestellt wird. Auch in Krisenzeiten. Die Preisfrage stellt sich dabei für die meisten Bundesbürger nicht.

  • Welche der folgenden Aufgaben sollten die deutschen Landwirte jetzt und in Zukunft für unsere Gesellschaft erfüllen?


Tierwohl und billige Lebensmittel haben weniger Bedeutung

In Krisenzeiten sind den Menschen ihre persönlichen Bedürfnisse am wichtigsten. Das machen die Antworten auf die Frage nach dem Anspruch der Bevölkerung an die Landwirtschaft deutlich: Die Versorgung mit Nahrungsmitteln rangiert vor dem Einhalten von Tierwohlstandards und hat für die Menschen inzwischen ebenso viel Bedeutung wie der Erhalt und die Pflege der Kulturlandschaften. Damit einher geht die Erwartung, dass sich die Landwirte für den Umwelt- und Klimaschutz engagieren und dabei zugleich fortschrittlich agieren, die Artenvielfalt fördern und zur Energieversorgung beitragen.

Die Verbraucher in Deutschland sind weniger an preiswerten Lebensmitteln interessiert, als bisher vermutet

Für 46 Prozent der Befragten scheint der Preis für Nahrungsmittel weniger wichtig zu sein. Nur für die Ostdeutschen war dies zu sechzig Prozent ein wichtiger Aspekt.

Der Wunsch nach regionalen Produkten ist nirgendwo in Deutschland größer als in der Hauptstadt

Hundert Prozent aller befragten Berliner erwarten künftig von der Landwirtschaft, dass sie ihnen regional erzeugte Produkte zur Verfügung stellt. Bundesweit am deutlichsten ist diese Erwartungshaltung bei Menschen zwischen 40 und 49 Jahren mit mittlerer Schulbildung ausgeprägt und in Drei-Personen- Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen zwischen 2.500 und 3.500 Euro. Für Schüler und Studenten hat die Herkunft der Produkte etwas weniger Relevanz, ebenso wie für Single- und Zwei- Personen-Haushalte.

Für die Norddeutschen haben Preise für Nahrungsmittel deutlich geringere Relevanz als für Ostdeutsche

Die Erzeugung günstiger Nahrungsmittel durch die Landwirtschaft hat bei den Menschen in Hamburg und Bremen, in Niedersachsen und Schleswig-Holstein deutlich weniger Bedeutung als in allen anderen Bundesländern. Gerade mal für 25 Prozent der Befragten spielt der Preis eine Rolle. Mit 61 Prozent haben in dieser Frage die Menschen in Brandenburg, Mecklenburg- Vorpommern, Sachsen, Sachsen- Anhalt und Thüringen deutlich höhere Erwartungen an die Landwirtschaft.

↪ 91%: Landwirte sollen Kulturlandschaften pflegen

↪ 90%: Landwirte sollen Klimaschutz verbessern

↪ 90%: Landwirte sollen fortschrittlich sein

"Die Systemrelevanz der Landwirtschaft rückt in den Fokus"

Dr. Juliane Rumpf, Vorstandsvorsitzende der Agrarsozialen Gesellschaft e.V.

Die Ergebnisse der Umfrage überraschen mich nicht. Sie zeigen, wie sehr die Menschen die Arbeit der in der Landwirtschaft Tätigen wertschätzen und zwar insbesondere in Krisenzeiten, wie wir sie gerade mit der Corona-Pandemie erleben. Juliane RumpfDie Systemrelevanz der Landwirtschaft rückt in den Fokus. Es wird den Menschen klar, wie wichtig und wertvoll Landwirtschaft in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, in ihrer Region für die tägliche Versorgung mit Nahrungsmitteln ist. Dieses äußert sich zurzeit auch mit einem erfreulichen Absatzzuwachs der Betriebe mit Direktvermarktung.

Daneben zeigt die Umfrage erwartungsgemäß auch den großen Umfang gesellschaftlicher Leistungen, die die Bevölkerung von der Landwirtschaft erwartet. Hier tut sich jedoch eine Kluft auf. Die Landwirte und Landwirtinnen müssen ihre Familien von ihrer Arbeit ernähren können. Daher ist es unabdingbar, dass diesen gesellschaftlichen Forderungen entsprechende Entlohnungsansätze gegenüberstehen. Hier erwarte ich mehr moderne, richtungsweisende Politik für die neue EU-Förderperiode. Mit einer stärkeren Betonung der zweiten Säule bei den Umwelt- und Klimaschutzprogrammen sowie einer Förderung von Maßnahmen zur Erhöhung der Tierwohlstandards könnten dieser gesellschaftliche Konflikt und zugleich die dringend erforderlichen Aufgabenstellungen im Umwelt- und Klimaschutz – endlich – gelöst werden. Denn die Landwirtschaft der Zukunft wird aus meiner Sicht so aussehen, dass wir auf den natürlichen Gunststandorten weiterhin intensiv Landwirtschaft betreiben und Nahrungsmittel in guter Qualität sowie Grundstoffe für erneuerbare Energien erzeugen. Dabei werden die Auflagen zum Schutz von Natur, Umwelt und Klima stetig steigen.

Daneben sehe ich die Landwirtschaft immer stärker im Dienst der Gesellschaft, indem sie Sonderleistungen für den Arten-, Boden-, Gewässer-, Klima- und Tierschutz erbringt. Diese Leistungen müssen künftig nicht nur mit dem Ausgleich entgangenen Nutzens und höherer Kosten (wie heute), sondern endlich auch mit einer angemessenen Einkommenskomponente bedacht werden. Nur dann sind die Programme attraktiv für die Landwirtschaft, nur dann erhöhen sie die Chancen von Landwirtinnen und Landwirten auf kleineren Betrieben und solchen mit ungünstigeren Produktionsbedingungen. Auch das ist eine breit getragene politische Zielsetzung. Die gesellschaftliche Kluft zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft könnte sich schließen. Eigentlich eine einfach zu lösende Aufgabe für alle politisch Verantwortlichen!

  • Und wie werden diese Aufgaben derzeit von den deutschen Landwirten Ihrer Ansicht nach erfüllt?


Fragt man die Bevölkerung, in welchen Punkten sie die von der Landwirtschaft erwarteten Leistungen heute bereits erfüllt sieht, steht die Versorgungssicherheit an erster Stelle. In allen Regionen, Alters- und Einkommensschichten sind die Menschen zu insgesamt 88 Prozent zufrieden. Schlusslicht bei der wahrgenommenen Realität ist das Tierwohl. Nur 39 Prozent der Bevölkerung erkennen an, dass die Standards eingehalten werden. Am wenigsten davon überzeugt sind die 30- bis 39-jährigen Befragten, die Gruppe der Schüler und die Menschen in Berlin.

"Wertschätzung, Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft erhalten"

Ute Volquardsen, Präsidentin der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein

Dieses Ute VolquardsenChart zeigt, dass die große Mehrheit der Bevölkerung in unserem Land mit der ureigenen Aufgabe der Landwirtschaft, nämlich die Ernährung zu sichern, darunter auch mit regionalen und ebenso bezahlbaren Lebensmitteln, zufrieden ist. Corona hat uns zuletzt allen eindringlich vor Augen geführt, wie wichtig regionale Lieferketten sind, wie groß teils die Abhängigkeiten vom Ausland sind, und wie fragil das globale System in der Krise sein kann. Plötzlich hieß es (endlich) wieder: Landwirtschaft ist systemrelevant! Das freut mich als Landwirtin und als Präsidentin einer Landwirtschaftskammer doppelt.

Dennoch müssen wir als Branche selbstkritisch zur Kenntnis nehmen, dass es gerade die jungen Verbraucher und Verbraucherinnen sind, - die Zukunft unserer Gesellschaft -, die der Landwirtschaft kritisch gegenüberstehen (siehe Chart). Das mag zum einen mit einer immer größeren Entfremdung von der modernen Arbeitsweise und dem Leben auf dem Lande zu tun haben, zum anderen aber auch mit unerfüllten Wünschen nach mehr Anstrengungen zum Klimaschutz, der Erhaltung der Artenvielfalt und Förderung des Tierwohls. Die Agrarbranche sollte sich hier auf der einen Seite lösungsorientiert zeigen und auf der anderen Seite noch mehr kommunizieren, dass sie ihren Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leistet und bereit ist, auch künftig zu leisten. Diese Anstrengungen dürfen, wenn sie politisch „verordnet“ werden, jedoch nicht dazu führen, dass bestimmte Betriebszweige unrentabel werden und ins Ausland verlagert werden. Letztlich geht es hier also um Wertschätzung, Wertschöpfung und die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen landwirtschaftlichen Produktion in unserem Land.

  • Welche der folgenden Aufgaben sollten die deutschen Landwirte jetzt und in Zukunft für unsere Gesellschaft erfüllen? = SOLL

  • Und wie werden diese Aufgaben derzeit von den deutschen Landwirten Ihrer Ansicht nach erfüllt? = IST


Tierwohl offenbart Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Nur 39 Prozent der Befragten sind mit der Einhaltung der Tierwohl- Standards in der Landwirtschaft zufrieden. Aber 91 Prozent der Bevölkerung erwarten, dass sich in diesem Punkt mehr verbessert. Mehr als die Hälfte der Menschen sind also mit der wahrgenommenen Realität unzufrieden. So groß ist die Diskrepanz bei keinem anderen Aspekt dieses Fragenkomplexes. Nur noch beim Schutz der Umwelt und des Klimas bzw. der Förderung der Artenvielfalt gehen mit 42 bzw. vierzig Prozent Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. Weniger groß ist der Abstand in der Erwartung der Bevölkerung, dass die Landwirtschaft zur Energieversorgung beiträgt (17%) oder in der Einschätzung von deren Fortschrittlichkeit (15%).

In einem Punkt werden die Erwartungen der Bevölkerung an die Landwirtschaft übertroffen

Fast drei Viertel der Befragten erkennen an, dass die Landwirtschaft preiswerte Nahrungsmittel produziert. Erwartet hatten das gerade mal 46 Prozent der Bevölkerung.

local market

↪ 97%: Regionale Versorgung – besser als erwartet

In den persönlichen Erlebnisbereichen nähern sich Wunsch und Wirklichkeit einander deutlich an

Die wahrgenommene Realität kann durch Beiträge in Medien und Online-Netzwerken beeinflusst werden. Verfügen die Befragten jedoch über eigene Erfahrungen, fallen die Ergebnisse anders aus: Dann liegen z.B. nur noch acht oder zwölf Prozent zwischen dem Wunsch der Menschen nach einer Versorgung mit regionalen Lebensmitteln bzw. der Versorgung in Krisenzeiten und der wahrgenommenen Realität.

"Wir brauchen digitale Lösungen im Stall und auf dem Acker"

Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft

Die Corona-Krise hat uns allen gezeigt, local marketdass volle Regale keine Selbstverständlichkeit sind. Vielen ist wieder stärker bewusst geworden, warum wir eine erfolgreiche heimische Land- und Ernährungswirtschaft brauchen. Den Umfragen unseres Ministeriums zufolge hat für fast 40 Prozent der Menschen durch Corona die Bedeutung der Landwirtschaft nochmals zugenommen. Dass diese systemrelevant ist, stellt sicher niemand mehr infrage. Das dokumentiert auch die Gegenüberstellung von Aufgabenanspruch und Aufgabenerfüllung dieser Studie. Sie zeigt, dass die Menschen sich von der Landwirtschaft gut versorgt fühlen, auch in der Krise. Und dass sie sich mehr regionale Produkte wünschen.

Gleichzeitig macht die Studie deutlich, dass die Bevölkerung einen hohen Anspruch an die Landwirtschaft im Hinblick auf den Schutz von Umwelt, Natur und Klima hat, dass Tierwohl einen hohen Stellenwert einnimmt. Die Ergebnisse zeigen aber, dass viele der Studienteilnehmer diesbezüglich noch mehr Leistungen von der Landwirtschaft erwarten. Wie das gelingen kann? Indem die Landwirtschaft noch nachhaltiger arbeitet, ökologisch-produktiv ist. Dazu brauchen wir digitale Lösungen im Stall und auf dem Acker, müssen bei der Züchtung auch mit neuen Technologien vorankommen und sollten auch bei der Düngung und im Pflanzenschutz noch besser und effektiver werden.

Bildquellen

Titelbild, Trecker Gemuese: adobeStock_© magdal3na
Chart-1, Aufgaben Soll: i.m.a-eV_© Sarah Kienapfel
Landschaft, Luftbild: adobeStock_© TRFilm
VW-Bus, Praxis-Theorie: adobeStock_© Thomas Reimer
Drohne Feld Landwirtin: adobeStock_© scharfsinn86
Dr. Juliane Rumpf: © Ulrike Baer
Chart-2, Aufgaben Ist: i.m.a-eV_© Sarah Kienapfel
Ute Volquardsen: LWK Schleswig-Holstein_© Iris Jäger
Chart-3, Soll-Ist-Vergleich: i.m.a-eV_© Sarah Kienapfel
Wochenmarkt Corona-Maske: adobeStock_© Valeria Schettino
Julia Klöckner: © CDU Rheinland-Pfalz